Die Liturgie des Alltag
Wie Vertrauen in Gott Geborgenheit schenkt
von Prädikantin Angelika Heft
„Alt werden ist nichts für Feiglinge,“ heißt es. Ja, ich stimme zu. Plötzlich blicke ich auf eine Filmspule von Lebensjahren zurück und frage mich, wo sind sie hin, die vielen Momente meines Lebens: Lachen, Weinen, Aufbrüche und Umbrüche.
Wie oft habe ich mir die Zähne geputzt, Wäsche gewaschen, gekehrt, gewischt, gearbeitet, Kinder gehütet, um am Abend wieder die Zähne zu putzen und ins Bett zu gehen.
Wie oft habe ich mich an der Liturgie des Alltags abgearbeitet und dabei den täglichen Blumenstrauß des Lebens in Empfang genommen. Im Rückblick hat dieser „Alltagstrott“ eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. War er doch oft der Rettungsanker für die Überraschungen, die das Leben für uns bereithält.
In die Liturgie des Alltags werden wir von Kindesbeinen an eingewiesen. Als Kind empfinden wir diese Unterweisungen oft als „nervig.“
Immer wieder dieselben Ratschläge: „Pass gut auf! Lass dich von niemandem ansprechen! Wechsel jeden Tag die Unterwäsche!
Setz die Mütze auf, wenn es kalt wird! Wasch dir die Ohren!
Komm pünktlich nach Hause!“ „Ich hab dich lieb“ wäre die einfachere Variante, statt der täglichen Ermahnungen.
Das Risiko, dass etwas von einem Ohr rein und vom anderen wieder rausgeht, wäre dann nicht so groß und könnte vielleicht sanft das gewünschte Verhalten einüben.
Aber die Liebe kennt ihren Weg, und obwohl ich es als Kind nie zugegeben hätte, habe ich doch gespürt, dass ich behütet und geborgen bin, was auch immer geschieht, weil es Eltern gab, denen ich wichtig war.
Umsorgende Eltern sprechen nun mal oft in Imperativen, und es sind gerade diese einfachen Anweisungen, die helfen können, in den Stürmen des Lebens nach vorne zu blicken und nicht im Loch hängen zu bleiben.
Erst mal Luft holen ist immer hilfreich. Vielleicht eine Runde putzen, im Garten graben und sich nicht auf die Dunkelheit fixieren – das ist ein Weg.
Dieser Weg öffnet mir eine Tür ins Leben, wenn ich auf das schaue, was ich habe: die Imperative meiner Kindheit, die Liebe, die ich erfahren durfte, meine Familie, meine Freunde, mein tägliches Auskommen.
Ich bin nicht nur besorgt, sondern auch froh, weil ich gehalten bin. Ich bin dankbar. Das gibt Lebensenergie.
Die Quelle dieser Kraft ist unser Vertrauen. Vertrauen, dass wir gehalten sind von einem Vater, der freundlich auf uns schaut.
Das bringt Gelassenheit und die Einsicht, dass ich nicht alles selbst erledigen und an meinen Fehlern verzweifeln muss.
„Der Mensch wird gerecht allein aus Glauben,“ sagt Martin Luther.
Es ist genau dieser Glaube, der Vertrauen schenkt, dass ich so, wie ich bin, Gott recht bin und ich mein Seelenheil zuletzt allein vor dem gnädigen Gott und nicht vor einer sozialen Instanz verantworten muss.
Das war für Martin Luther eine zutiefst befreiende Erfahrung. Und Vertrauen in Gott befreit bis heute. Ich fühle mich geborgen. Spüre inneren Frieden, denn nichts geschieht an Gott vorbei.
Und wenn ich mich im Rückblick der Jahre frage: Wo sind sie hin, die vielen Momente meines Lebens, mein Lachen, mein Weinen, meine Aufbrüche und meine Umbrüche?
Dann lautet die Antwort: Sie sind in Gottes Hand.
Deshalb: Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.
Das Leben ist ein Gottesdienst...
... und mein Alltag ist mein Glaube
von Pfarrerin Anna Thees
Ich liebe mein Leben. Ich liebe meine Familie. Und ich liebe meinen Beruf – der nach sechs Jahren im Pfarramt immer noch mein Traumjob ist.
Schon in der neunten Klasse entschied ich mich, Pfarrerin zu werden, inspiriert von meinem Heimatpfarrer.
Aufgewachsen in der evangelischen Jugend, nahm ich als Teilnehmerin an Zeltlagern teil, sang im Kinder- und Jugendchor und besuchte den Kindergottesdienst. S
päter engagierte ich mich als Mitarbeiterin bei Freizeiten und gestaltete Kindergottesdienste. All das geschah aus Überzeugung – weil ich an Gott glaube.
So begann ich, gelegentlich in der Bibel zu lesen. Die Losungen wurden bald zu einem festen Bestandteil meiner täglichen Lektüre.
Ich lernte, Andachten zu schreiben, und begann mein Theologiestudium.
Meine Leidenschaft für Kirchengeschichte und die Entstehung der Bibel wuchs.
Während sich meine Bibliothek mit Versen in Hebräisch und Griechisch füllte, erforschte ich immer tiefer meinen Glauben und suchte nach Ausdrucksformen, die zu mir passten.
Ich besuchte Lobpreisgottesdienste, schnupperte in Hauskreise hinein, feierte Vesper und Deutsche Messe in der Neuendettelsauer Diakonissenanstalt und erlebte Protestantismus als „Randerscheinung“ im katholischen Frankreich.
Manches gefiel mir, anderes weniger. Aber ich praktizierte meinen Glauben täglich.
Heute bin ich Pfarrerin. Die Losungen kaufe ich mir nicht mehr, denn ich nutze jetzt eine Handy-App – auf Deutsch.
Die griechischen Verse des Neuen Testaments verstehe ich nicht immer, die hebräischen schon eher.
Wenn ich merke, dass ich ein paar Tage hinterherhinke, frage ich mich manchmal, wann ich Zeit für meinen Glauben habe.
Beim Tischgebet vor dem Abendessen mit der Familie? Wenn ich die Zeit finde, mit meiner Großen in der Kinderbibel zu blättern und Geschichten zu erzählen?
Seit meine Kinder auf der Welt sind, lese ich hauptsächlich das, was für den Dienst relevant ist. Die Frage bleibt: Wann finde ich Zeit für meinen Glauben?
Morgens oder abends im Bett, wenn ich mir fünf Minuten für die Losung nehme?
Als ich anfing, diesen Artikel zu schreiben, dachte ich noch, dass ich keine Zeit für „Glauben im Alltag“ habe – zwischen Job und Familie bleibt einfach keine Zeit für mich.
Doch beim Schreiben wurde mir klar: „Mein Alltag ist Glaube“. Paulus schreibt im Römerbrief, dass unser ganzes Leben ein Gottesdienst sein soll.
Diese Perspektive verändert alles.
Ich habe nicht keine Zeit für meinen Glauben, sondern ich habe nur Zeit für meinen Glauben.
Ich hatte das Glück, meinen Glauben zum Beruf zu machen und mich mit biblischen Texten für Predigten und Ansprachen zu beschäftigen.
Auch wenn ich einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen hätte, würde das Tischgebet weiterhin zu jeder Mahlzeit gehören, Dank für Gottes Fürsorge und Schöpfung bei der Gartenarbeit aufkommen, und die Losungen wären Teil meiner Routine geworden.
Meine Töchter würden bestimmt auch aus der Kinderbibel vorgelesen bekommen.
Es gibt so viele kleine Gelegenheiten, den Glauben im Alltag zu leben.
Jeder muss seinen eigenen Weg finden, um das Leben zum Gottesdienst werden zu lassen.